König Kandaules, auch als Myrsilos bekannt und laut griechischen Sagen ein Nachfahre des Herkules gilt als „Erfinder“ des Candaulismus. Wir befinden uns im Zeitalter der Blüte des kleinasiatischen Königtums Lydien, knapp 700 Jahre vor Christi Geburt, und König Kandaulus findet seine Frau Nyssia so atemberaubend schön, dass er sie unbedingt auch andern Männern zeigen will, bzw. sogar zusehen, wie sie mit anderen Männern Sex hat – die Überlieferungen sind hier nicht ganz eindeutig.
In aller Kürze meint Candaulismus, dass ein Mann seine Frau quasi ‚verborgt‘ und zusieht, wie sich andere Männer an ihr ergötzen oder mit ihr sexuell vergnügen – mit oder ohne sein Zutun. Candaulisten sind also glücklich, betrogen zu werden… Doch ist das tatsächlich so? Und warum? Und wie muss die Frau beschaffen sein, die dabei mitmacht?
Candaulismus – die Legenden
Rund um den sagenumwobenen König Kandaules gibt es mehrere überlieferte Geschichten; zwei davon haben Bezug zum heute gebräuchlichen Fachterminus Candaulismus.
Der einen Legende zufolge fand König Kandaules seine Frau Nyssia dermaßen schön, dass er sie all seinen Soldaten nackt zeigen wollte. Nyssia war von dieser Vorstellung allerdings wenig begeistert und verweigerte die Erfüllung seines Wunsches. Gekränkt durch ihre Weigerung ließ der König sie töten. So weit – so schlecht.
Der zweiten Überlieferung nach schwärmte der König seinem getreuen Leibwächter Gyges gegenüber in den höchsten Tönen von Nyssias außergewöhnlicher Schönheit. Gyges war das allerdings peinlich, er wollte aus Schamgefühl keine Details wissen, was wiederum den König kränkte.
Um seinen Diener die Schönheit seiner Frau im wahrsten Wortsinn vor Augen zu führen, zwang König Kandaules seinen Diener nun Nyssia – im Geheimen – beim Umkleiden zuzusehen. Diese sah und erkannte Gyges jedoch und zwang nun wiederum diesen zu einer Entscheidung: Da er sie nackt gesehen habe, soll er entweder sterben – oder den König töten und sie zur Frau nehmen.
Gyges entschied sich für zweiteres: anstatt getötet zu werden, entschied er sich für das Leben, die schöne Nyssia und die damit verbunden Herrschaft – und tötete seinerseits Kandaules.
Heute bezeichnet der Begriff Candaulismus die sexuelle Erregung, die ein Mann empfindet, wenn er zusieht, wie seine Frau mit einer anderen Person – üblicherweise mit einem anderen Mann – Sex hat, ohne dass er selbst daran teilnimmt.
Sexualpräferenz Candaulismus
Der Begriff Candaulismus erlebte im 19. Jahrhundert eine Renaissance: Richard von Krafft-Ebing, ein deutsch-österreichischer Psychiater und Rechtsmediziner,
belebte den Begriff in seiner 1886 erschienen Psychopathia sexualis wieder.
Krafft-Ebing verwendete den Begriff als Bezeichnung für eine spezifische voyeuristische Sexualpräferenz: Eine entsprechend veranlagte Person verspürt sexuelle Erregung bei der Vorstellung, wie der eigene Partner sich vor anderen entblößt oder mit anderen Sex hat – oder indem er bei entsprechenden Aktionen zusieht oder mitmacht.
Cuckolding und Wifesharing
In der BDSM-Szene werden für Candaulismus bzw. dadurch erregte Menschen auch die Begriff „Cuckold“ bzw. „Cuckquean“ verwendet. Als Cuckold wird ein Mann bezeichnet, der sexuellen Lustgewinn erlangt, wenn seine fixe Partnerin intimen Kontakt mit einem anderen Mann hat – und er davon weiß, oder sogar zusehen kann.
Äquivalent dazu wird eine Frau, die durch den intimen Kontakt ihres männlichen Partners mit anderen Frauen sexuelle Lust erlebt und erregt wird, als Cuckquean bezeichnet – doch im Vergleich gibt es wesentlich mehr Cuckold als Cuckqueans.
Oft entscheidet sich ein Paar zum Cuckolding, weil der männliche Part Potenzprobleme hat oder aus anderen Gründen mit seiner Frau sexuell nicht verkehren kann, ihr aber dennoch Lust verschaffen will. Und sich selbst über das Zusehen auch gleich dazu!
Cuckolds bzw. Cuckqueans können voyeuristisches, masochistisches, dominantes, und/oder devotes Verhalten bevorzugen.
Auch beim „Wifesharing“ handelt es sich um eine Variante des Candaulismus. Nomen est Omen, geht es auch bei dieser Spielart darum, die eigene Frau mit anderen Männern zu teilen; BDSM Elemente stehen hierbei im Hintergrund.
Die Abgrenzung ist nicht ganz einfach. Beim Wifesharing gibt es aber üblicherweise mehr Tabus als beim Cuckolding. Beim Cuckolding ist z.B. das offensichtliche „Besamen“ der Frau durch den zweiten involvierten Mann eine beliebte Spielart – entweder um den Cuckold im sexuellen Spiel zu demütigen oder einfach aus Freude an der Sache und am Zusehen. Beim Wifesharing werden hingegen bis zum Ende Kondome verwendet – es geht mehr um den sexuellen Akt an sich, und weniger um Unterwürfigkeit, Dominanz oder Voyeurismus.
Beim Wifesharing genießen Frauen die volle Aufmerksamkeit von zwei Männern, sie fühlen sich sexuell doppelt begehrt, stehen im Mittelpunkt und das Selbstbewusstsein erstrahlt in neuem Glanz.
Männer in Wifesharing-Beziehungen wiederum beschreiben die Lust an der Lust des anderen Mannes auf die eigene Frau als unglaublich antörnend: die eigene Frau beim Geschlechtsverkehr mit anderen Männern zu beobachten und deren Lust hautnah mitzuerleben macht geil – und Lust drauf, mitzumachen!
Viele männliche Fans dieser Praktik schwören auf den unglaublich erotisierenden Kick den sie erleben, wenn sie zusehen können, wie sehr ihre eigene Frau von anderen Männern begehrt wird.
Doch Achtung: Grundvoraussetzung beim Canaulimus ist immer, dass beiden Beziehungpartnern bewusst ist, worauf sie sich einlassen – und dass sie möglichst frei von Eifersucht sind.
Denn Fantasie und Realität klaffen doch recht häufig auseinander: Während die Vorstellung einer ménage à trois mit der eigenen Frau und einem Fremden noch sehr reizvoll sein mag, kann sich die real erlebte Situation dann doch ganz anders anfühlen. Und zwar egal, ob ‚mann‘ wie beim Cuckolding nur zusieht oder, wie beim wifesharing, mitmacht.
Ein weiterer Unterschied zwischen Wifesharing und Cuckolding ist die unterschiedliche Aktivität der Männer: An sich ist bei Candaulismus die Haltung des männlichen Parts prinzipiell eher devot und die Rolle der Frau eher dominant. Beim Cuckolding ist die Frau die noch treibendere Kraft – hier gilt ‚Femdom’, also Female dominance (engl. für „weibliche Dominanz“).
Die Frau sagt, wo es langgeht und was sie sich vom aktiven Partner wünscht, während der passive zusieht. Beim Wifesharing kann die Roll der Frau passiver sein: wenn sie von zwei Männern gleichzeitig verwöhnt wird, muss dominantes Verhalten nicht unbedingt mehr eine Rolle spielen – kann aber! Natürlich gibt es aber auch beim Wifesharing Varianten wo Frauen stark Dominanz ausüben.
Exkurs: Die Abgrenzung zum Swingen ist eher einfach. Beim Swingen ist es üblich, dass beide Partner Sex mit (meist sogar mehreren) anderen Partnern haben, beim Candaulismus ist der involvierte Personenkreis kleiner und intim.
Candaulismus bedarf aber – ebenso wie swingen – intensiver vorhergehender Gespräche, damit auch wirklich beide Paare wissen, worauf sie sich einlassen.
Candaulismus aus psychologischer Sicht
Candaulismus ist eine sexuelle Spielart und kein verschleiertes Fremdgehen! Beim Fremdgehen betrügt man oder wird betrogen; ausgelebter Candaulismus hingegen vermeidet diese Klippe des Betrügens, da alle einvernehmlich agieren und wissen, worauf sie sich einlassen.
Die Rollen sind klar festgelegt: Es gibt ein Paar, das sexuell agiert und den fixen Partner, der als Voyeur zusieht – oder eben mitmacht. Beim klassischen Betrug schmerzt ja schließlich nicht nur die Tatsache des körperlichen – und emotionalen – Betruges, sondern auch, dass eine Treueversprechen gebrochen wurde. Und dieses Faktum entfällt beim Candaulismus.
Candaulismus ist eine eigene Form der Vereinbarung zwischen einem Paar und einer dritten Person. Candaulisten bezeichnen sich folgerichtig auch manchmal als „glückliche Betrogene“- wiewohl sie ja eigentlich nicht betrogen werden weil sie voll involviert sind und ihnen nichts verheimlicht wird.
Männliche Anhänger dieser Praktik kommen vielmehr auch dadurch auf ihre Kosten bzw. eine Zusatzkick, da immer ein gewisses Machtelement mitschwingt: die Sexualität der Partnerin wird quasi organisiert und dadurch auch kontrolliert – für manche Männer eine noch viel erregendere Vorstellung als ’normalen‘ Sex konkret auszuleben. Andere wiederum schwören auf den Erregungseffekt den Candaulismus insofern bewirkt, als im Endeffekt sie selbst es sind, die den Körper ihrer Partnerin zurückerobern, sobald die Session mit dem Dritten vorbei ist.
[abo]
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