„Wer jung ist, dem gehört die Welt!“, lautet die Maxime. Wer jedoch meint, der Jugendwahn wäre erst ein Kind der vergangenen 4 Jahrzehnte, eine Ausgeburt der Leistungs- und Spaßgesellschaft, der irrt. Schon immer galt Jugend als Sinnbild für Kraft, Leistung und Potenz. Doch nicht immer waren alte Menschen von der Gesellschaft so asexualisiert worden wie heute. Nach dem Motto: Bitte Sex einstellen, anschnallen, zurücklehnen, und warten auf den finalen Flug.
Sexuelle Handlungen zwischen alten Menschen (oder an sich selbst) werden in der öffentlichen Diskussion geradezu verstockt tabuisiert, sind ausgeblendet, gelten als gesellschaftliche Randerscheinung, sind allerhöchstens verschämt belächelte Ausnahme und werden mit Nichtachtung beiseite geschoben. Doch nicht nur Menschen unter 60 haben ein Recht ihre sexuellen Bedürfnisse auszuleben. Auch ein Körper, der seine Zellnachbildung bereits eingestellt hat, der sich mit jedem Jahr mehr von dem Klischeebild des flotten Liebhabers entfernt, beherbergt einen Geist, der begiert, der Bedürfnisse hat und der befriedigt werden will. Der Körper mag vielleicht nicht mehr so können, wie der Geist es wünscht, doch Sexualität ist keine Schablone. Sie ist kein Pfad, der nur in eine Richtung weist. Sie ist vielfältig und bunt, ein orientalischer Basar der Gefühle. Sie kennt viele Spielarten und jedes Alter.
Jeder Körper, gesund, alt oder krank, kann seinen Weg darin finden, die native Kraft der Beschäftigung mit dem eigenen oder fremden Geschlecht zu nutzen. Natürlich hört sich das, möge nun der eine oder andere einwerfen, wie ein feuriges Plädoyer an, es blendet die zahlreichen real existierende Probleme das Alterns aus: die Mühsal der Wechseljahre, den zunehmenden Potenzverlust des Mannes, die Alterskrankheiten, die die Bewegungsfreiheit einschränken und die Freude an körperlicher Betätigung vermindern.
Allen Skeptikern sei an dieser Stelle gesagt: Sex findet vor allem im Kopf statt, Penis und Vagina sind nur ein Teil des Spiels und letztlich nur ausführende Organe. Wo eine Wille, da auch ein Weg. Wer kennt es nicht: das Gefühl sexuell verkrampft zu sein, weil sich eine Blockade im Hinterkopf nicht lösen will. Taub und unbeholfen an der Seite der Frau seiner Träume zu liegen, sich dabei anzustellen wie eine Affe, der zum ersten Mal vom Baum klettert. Der umgekehrte Fall: Das erhebende Gefühl, das man mit einer vertrauten Person genießt. Das Gefühl sich treiben zu lassen, nur auf seine Instinkte zu hören, sich nicht um die Welt rundherum zu scheren und nur jene Hirnhälfte zu nutzen, die sich nicht mit anstrengenden Dingen wie der Vernunft herumplagt.
Das ist die Basis, auf der guter Sex aufbaut, egal welchen Alters. Und wenn der Körper älterer Menschen aufgrund des natürlichen Prozesses einen stärkeren Anstoß, einen herberen Impuls benötigt, so muss man sich eben Mühe geben, solche Impulse zu setzen. Denn vermittelt man jenen Menschen unter uns, die altersbedingte körperliche und hormonelle Veränderungen durchmachen, das Gefühl, sie hätten ihr Recht auf Sexualität verwirkt und dürften diese Freuden nun nicht mehr genießen, so bestärkt man sie in ihrem Zweifel und sie werden sich ihrem Schicksal ergeben und vor dem körperlichen Verfall kapitulieren.
Ermutigt man diese Generation jedoch durch ungezwungenen Umgang mit der Thematik und rückt man ab vom sturen Leitbild der Jugendlichkeit, wird Sex ein anerkannte … für Menschen jeglichen Alters. Je weiter man sich der Normalität der Sexualität im Alter annähert, je mehr Akzeptanz sie findet, umso mehr alte Menschen würden die Hürde des Tabus und der Scham überwinden und die zeitlose Schönheit einer Berührung wiederfinden. Und daraus vielleicht den Mut schöpfen, medizinische Möglichkeiten wie Hormonbehandlungen oder Medikamente in Betracht zu ziehen.
Sexualität ähnelt einem Fluss – immer in Bewegung und mit jedem seiner Abschnitte ein Wunder der Natur. Und so unterscheidet sich auch der Sex im Alter von jenem in der Jugend, indem er dem Fluss gleicht, der sich dem Meer nähert: etwas langsamer und flacher, aber auch gelassener. Wer sich im Alter von der Vorstellung verabschiedet, Sex hätte mit körperlicher Akrobatik zu tun, der wird neue Erfahrungswelten betreten. Zu verzagen, gar zu kapitulieren, wäre der falsche Weg.
[red & thomer]
Linktipps:
-
Sexuelle Unlust der Frau
Wie wandelt sich Sexualität im Alter?
Der Penis, die Antenne des Herzens – Erektionsstörungen als Vorbote für Herzinfarkt
Sex im Alter – Erotik kennt keien Altersgrenze