Hermaphroditen sind Zwitter, betroffene Menschen haben somit nicht nur ein das Geschlecht bestimmendes Merkmal. Es handelt sich also um doppelt- geschlechtliche Individuen, also Menschen die sowohl männliche als auch weibliche Geschlechtsausprägungen haben. In Deutschland leben geschätzte 100.000 Menschen, deren Geschlecht nicht eindeutig männlich oder weiblich ist.
Während lange Zeit chirurgische Eingriffe bereits im Kleinkindesalter vorgenommen wurden um das „Defizit“ zu „korrigieren“, ist diese Praxis mittlerweile mehr als umstritten und wird jedenfalls nicht mehr „automatisch“ vorgenommen.
Begriff und Entstehung
Unsere Gesellschaft ist keinesfalls immer nur männlich oder weiblich. Der Begriff Hermaphrodit („zweigeschlechtliches Wesen“) stammt ursprünglich aus der Antike (nach Hermaphrodites, dem Sohn des Hermes und der Aphrodite, einer Figur aus der griechischen Mythologie) und bezeichnet ein Lebewesen, das sowohl männliche als auch weibliche körperliche Merkmale aufweist. Der zeitweise auftretende fließende Übergang zwischen den Geschlechtern war bereits in der Antike bekannt. Auch in der bildenden Kunst findet man immer wieder Darstellungen von Intersexualität.
Hermaphrodit ist folglich ein sogenannter Zwitter, also ein Individuum mit männlicher und weiblicher Geschlechtsausprägung. Hermaphroditismus kommt in der Pflanzen- und in der Tierwelt genauso vor, wie in der Humanbiologie.
Der betroffene Mensch hat sowohl Eierstöcke als auch Hoden. Funktionieren die Geschlechtsorgane, ist sogar eine Zeugung möglich. Diese echte Form der Zwittrigkeit ist jedoch äußerst selten. Häufig wird sie erst in der Pubertät erkannt, wenn einem vermeintlichen Mädchen durch eine seit der Geburt vorhandene Anlage ein Penis wächst oder wenn sich andererseits keine Brüste entwickeln. Kinder können jedoch auch schon bei der Geburt veränderte Genitalien aufweisen. Mediziner bezeichnen dies als Intersexualität oder Störung der Geschlechtsentwicklung.
„Ungefähr einer von 8.000 bis 10.000 Menschen ist in Deutschland intersexuell geprägt. Wobei 100 bis 160 im Jahr dazukommen, bei denen es gleich bei der Geburt erkannt wird“, sagt Professor Olaf Hiort, Sprecher der klinischen Forschergruppe „Intersexualität“ an der Universität Lübeck.
Sei es wie es sei: am Anfang sind wir alle Hermaphroditen. Bis zur sechsten Lebenswoche tragen alle Föten die Anlagen für beide Geschlechter. Erst danach setzt sich ein hormonelles Szenario in Gang, ein XY-Chromosomenpaar lässt Hoden, später den Penis, oder ein XX-Chromosomenpaar Eierstöcke und Klitoris wachsen. Doch manchmal funkt die Natur ein bisschen dazwischen, fehlende oder überzählige Chromosomen, versagende Enzyme oder fehlende Hormone können dann von allem etwas hervorzaubern.
Eingriffe mit möglichen negativen Folgen
„Die Eltern wollen natürlich, dass sich ihr Kind in eine Richtung entwickelt. Ein Kind, das mit uneindeutigem Genitale zur Welt kommt, löst Verwirrung, Unsicherheit und Angst aus“, sagt Professor Hertha Richter-Appelt, Leiterin der Forschergruppe Intersexualität in Hamburg. Richter-Appelt rät dennoch dazu bei medizinischen Eingriffen die Pubertät und die weitere Entwicklung abzuwarten.
Hierbei ist allerdings zu sagen, dass bei fehlendem pathologischem Befund der Eingriff im Kindesalter eine rein kosmetische Angelegenheit ist.
Da die Zwittrigkeit durch eine Operation und Hormontherapie behoben werden kann, wurden bis vor einigen Jahren Kinder noch sehr früh einem chirurgischen Eingriff unterzogen. Ärzte und Eltern folgten dem aktuellen Ansatz des amerikanischen Forschers John Money, dass Kinder bis zum 24. Monat einem Geschlecht zugeordnet werden müssen. Zur damaligen Zeit wurde die Meinung vertreten, dass allein Erziehung und Umwelt das Geschlecht bestimmen. Die betreffenden Kinder wurden daher auch konsequent mit dem gewählten Geschlecht erzogen und nie über die wirklichen Gegebenheiten aufgeklärt – mit oft schlimmen psychischen Folgen.
Heutige Lösungsansätze
Glücklicherweise hat die moderne Medizin diesen Ansatz verworfen. Mediziner raten dringend zur Zurückhaltung bei operativen Eingriffen im Kindesalter, insbesondere solche mit unumkehrbaren Folgen. Eine dem Alter entsprechende Aufklärung steht an erster Stelle. Kinder und Eltern sollten in einzelne Behandlungsschritte integriert sein und mitentscheiden ob „ja“ oder „nein“ und welche Form einer medizinischen oder psychotherapeutischen Behandlung sie beanspruchen möchten. Da die meisten Eingriffe nicht rückgängig gemacht werden können, sollten sich Eltern betroffener Kinder sowie auch die Kinder selbst gut überlegen, ob und wann Interventionen gemacht werden und ob vielleicht auch Alternativen dazu bestehen.
Tabuisierungen und Verheimlichungen sind jedoch auch in unserer modernen Gesellschaft noch immer vorhanden und häufig wird das Vorkommen von Intersexualität lieber verschwiegen. Doch erfolgt eine glückliche Kindheit nicht automatisch durch Festlegung auf ein eindeutiges Geschlecht. Vielmehr sind die Entwicklung von Selbstvertrauen und Selbstbewusstsein in bezug auf die persönliche und geschlechtliche Identität das vorrangige Ziel.
Der empfohlene Kontakt mir anderen Betroffenen im Rahmen einer Selbsthilfegruppe ist sicher keine schlechte Idee. Zu wissen dass man nicht allein ist kann sehr wichtig sein. Und sollte der Weg doch einmal über die Medizin führen: bitte genügend Zeit nehmen, ausreichend Informationen einholen und auf erfahrene Ärzte und Therapeuten zurückgreifen.
[nikir]
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